RadMomente: Durch drei Jahrhunderte Fahrradgeschichte
Das schwäbische Freilichtmuseum Illerbeuren bietet dieses Jahr mit "RadMomente" Einblicke in 3 Jahrhunderte Fahrradgeschichte. Ein Höhepunkt wird der Fahrradtag am 2. Juni 2024
RadMomente: Durch drei Jahrhunderte Fahrradgeschichte
Mehr als nur ein Fortbewegungsmittel: Seit seiner Erfindung im 19. Jahrhundert wird das Fahrrad als preisgünstige und unabhängige Fortbewegungsart geschätzt und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit.
Das Deutsche Fahrradmuseum besitzt die umfangreichste und qualitativ hochwertigste Sammlung historischer Fahrräder in Deutschland. Einen Teil der spannenden Exponate zeigt das Schwäbische Freilichtmuseum Illerbeuren in der Museumssaison 2024.
Die Jahresausstellung erzählt anhand einzigartiger Zweiräder Fahrradgeschichte. Unterschiedliche Serienmodelle und Einzelstücke stehen nicht nur für technische Entwicklungen und cleveren Erfindergeist, sondern geben auch Rückschluss auf Mode, Zeitgeschmack und historische Umstände.
Die Ausstellung ist interaktiv für Groß und Klein gestaltet – zum Beispiel kann man einmal selbst auf dem Hochrad sitzen und eine ganz neue Aussicht genießen.
Großer Fahrradtag: Mir sind mit'm Radl da am 2. Juni 2024
Beinahe pünktlich zum Weltfahrradtag findet im Schwäbischen Freilichtmuseum Illerbeuren ein Fahrradtag für Groß und Klein statt. Zusammen mit dem ADCF Memmingen bietet das Museum ein buntes Programm rund ums Zweirad.
Ab 11 Uhr finden im Gelände verschiedene Aktionen statt, darunter ein Wettbewerb im Slowbiking und eine Fahrradandacht auf der grünen Wiese. Dazu kann die Fahrraudausstellung „RadMomente: Durch drei Jahrhunderte Fahrradgeschichte“ besucht werden.
Verschiedene Fahrradmodelle laden zum Ausprobieren ein, und ein Fahrradtaxi für Kinder ist im Gelände unterwegs.
Übrigens: Wer mit dem Fahrrad anreist, zahlt nur den ermäßigten Eintritt!
Andreas Kietzell Vorstandsmitglied im ADFC Memmingen-Unterallgäu hat bei der Eröffnung der Fahrradausstellung "RadMomente" eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten:
Sehr geehrte Damen und Herren,
werte Ehrengäste!
Als ich ein kleiner Junge war, da besuchte mein Vater mit mir ein Freilichtmuseum, ähnlich wie dieses. Und als wir vor einer historischen Dreschmaschine standen, da begann er mit leuchtenden Augen zu erzählen: Wie mühsam es war, die Mechanik in Bewegung zu bringen, wie die Maschine dann klapperte, wie an einer Öffnung die Körner herausfielen, wie der mechanisch erzeugte Wind die Spelzen hinausblies - und wie er als kleiner Junge die Garben heranschleppte, damit sie gedroschen werden konnten. Ich selbst wuchs in den 70er Jahren am Rand einer mittelgroßen Stadt auf, für mich war das alles sehr weit weg und ich fragte mich, wie jemand so alt sein kann, dass er so etwas noch als normalen Alltag erleben hat.
Museen machen die Vergangenheit lebendig. Und derBlick auf die Vergangenheit macht uns bewusst, woher wir kommen, damit wir darüber nachdenken, wohin wir wollen. Und vielleicht haben einige in den letzten Monaten etwas besser verstanden, wie viel Arbeit auch heute noch geleistet wird, damit wir auf unseren Esstischen unser tägliches Brot vorfinden und den Käse und das Glas Milch und alles andere, was dort steht.
Als unsere Kinder klein waren, gingen wir mit ihnen regelmäßig hier in dieses Museum. Und wenn wir Besuch hatten, dann lernte der auch die hier versammelten schwäbischen Höfe und Gebäude kennen. Wie eine Besucherin darauf reagierte, ist mir bis heute unvergessen: Grace, eine 17jährige Schülerin aus Tansania, sie war als Botschafterin für das Hilfsprojekt MEWAIKI in Memmingen. Ihre Mutter ist an AIDS verstorben, dennoch gilt ihre Restfamilie für dortige Verhältnisse als wohlhabend, denn der Vater besitzt eine Kuh. Wir wollten ihr (wie bei unserem Besuch aus Deutschland gewohnt) durch den Museumsbesuch zeigen, wie man früher so gelebt hat. Grace jedoch war völlig begeistert, dass hier der Brunnen direkt vor dem Haus steht und nicht mehrere Kilometer entfernt, wie sie es von zu Hause kennt. Sie bewunderte den Holzofen mit einem Stahlgehäuse, denn zu Hause kocht Grace auf drei Steinen, die in einer kleinen Feuerstelle liegen. Und schließlich fragte sie uns, warum denn in diesen schönen Häusern niemand wohnt.
Der Blick von außen hilft uns, zu erkennen, wie wir leben und was wir für normal halten. Damit bin ich bei dem Thema dieser Ausstellung „RadMomente“. Und da möchte ich Sie zunächst zu einem Gedankenspiel einladen: Stellen Sie sich vor, Sie kommen als Außerirdischer nach Mitteleuropa – sie kennen unseren Alltag nicht. Versuchen Sie mit mir einen Blick von außen - darauf, wie wir Mobilität organisiert haben und für normal halten:
Wir verbrauchen fossile Energieträger – das ist nach wie vor der Normalfall. Die in ihnen gespeicherte Energie wird nur zu 30 % in Bewegung umgesetzt, der Rest entweicht als ungenutzte Wärme. Mit dieser Energie setzen wir 1,5-2,5 Tonnen Stahl in Bewegung, die dann 80 kg Mensch transportieren. Dabei wird Lärm verursacht und es werden giftige Abgase in die Atemluft der Umgebung abgegeben. Überall, wo wir sind oder hinwollen – zu Hause, auf der Arbeit, beim Einkauf, am Kino usw. – beanspruchen wir 12 Quadratmeter versiegelter Fläche, um das Fahrzeug abstellen zu können – ein PKW steht im Durchschnitt 23 Stunden am Tag und blockiert Fläche ohne jeglichen Nutzen. Und während unter den negativen Folgen des Autoverkehrs alle Menschen leiden, bleibt der Nutzen eines Autos, die Mobilität, ganzen Gruppen von Menschen verwehrt: Alle, die jünger als 18 Jahre sind; Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen; Menschen mit geringem Einkommen, die einen Führerschein und die Anschaffung, den Unterhalt und Betrieb eines Autos schlichtweg nicht bezahlen können. Besonders Kinder sind die Verlierer dieses Systems, weil sie im von den Autos dominierten Straßenverkehr besonders gefährdet sind. Die Folgen können Sie werktäglich an jeder Schule beobachten: Eltern bringen ihre Kinder mit dem Auto – und vergrößern damit für andere Kinder die Gefahr, die sie für ihr eigenes Kind fürchten. Es ist deutlich geworden: Die wenigsten dieser Nachteile werden aufgehoben, indem der Antrieb von fossilen Energieträgern auf elektrische Energie umgestellt wird.
Es gibt im Englischen ein schönes Sprichwort: Wenn du nur einen Hammer hast, hältst du jedes Problem für einen Nagel. Wenn wir weiter dem Auto einen prinzipiellen Vorrang einräumen – die StVO tut dies leider nach wie vor – dann werden wir damit wesentliche Probleme nicht lösen; mit einem Hammer kann man keine Schrauben ins Holz drehen. Was wir brauchen, ist eine Mobilitätswende, die geschickt die verschiedenen Mobilitätsformen miteinander verzahnt. Und dabei kann das Fahrrad mehrfach punkten: Es hat all die Nachteile nicht, die ich eben aufgezählt habe. Es ist leicht und braucht wenig Platz. Es ermöglicht aktive Mobilität und fördert die Gesundheit – nach einer Erhebung der AOK sind Menschen, die mit dem Rad zur Arbeit kommen, im Schnitt 5 Tage im Jahr weniger krank als andere. Es ist nachhaltig – mit dem Austausch weniger Verschleißteile hat ein Fahrrad eine im Prinzip unbegrenzte Lebensdauer; die ausgestellten Exponate zeugen davon. Es ist kostengünstig und grenzt in der Benutzung niemanden aus; durch elektrische Unterstützung haben auch ältere oder schwächere Menschen einen großen Radius. Gerade da, wo sich der Verkehr verdichtet und wo kürzere Strecken zurückzulegen sind, in den Städten, spielt das Fahrrad seine Vorteile aus. Eine Innenstadt wird nicht dadurch lebendig, dass sie von Autos durchquert wird, deren Fahrer auf der Suche nach einem vielleicht doch noch freien Parkplatz sind – sondern dadurch, dass sie als attraktiver Aufenthaltsort wahrgenommen wird. Der Memminger Schrannenplatz ist dafür ein gutes Beispiel: Dort wurden etwa 15 Parkplätze aufgelöst zu Gunsten eines attraktiven Platzes, an dem heute Kinder an den Brunnen spielen und Menschen in der Sonne sitzen, Kaffee trinken und sich unterhalten.
Eine echte Mobilitätswende erfordert also ein Umdenken: Das Fahrrad muss als wichtiger Baustein von Mobilität wahrgenommen und im Bewusstsein verankert werden. Es muss zum Normalfall von Mobilität werden. An dieser Stelle darf ich Ihnen, verehrte Frau __________, einen kleinen Impuls zur Weiterentwicklung nach Mindelheim mitgeben: Wenn man auf der Internetseite des Landratsamtes Unterallgäu das Stichwort „Radfahren“ sucht, findet man es unter dem Reiter „Freizeit“, zwischen „Glückswegen“, „Wandern“ und „Nordic Walking“. Da gehört es nicht hin: Für die Mobilitätswende brauchen wir Alltagsradler – und wenn deren Wege dann „Glückswege“ sind, ist es um so besser. Aber ich will auch positive Beispiele nennen: Gerade hier in und um Illerbeuren haben Sie im Hinblick auf Radwege in den letzten Jahren viel erreicht und mit der Sanierung der alten Eisenbahnbrücke haben Sie nicht nur ein historisches Bauwerk erhalten, sondern auch eine Verkehrsachse nach Legau. Und jeder kann sehen: Wo die Infrastruktur stimmt, da setzen sich Menschen aufs Rad und sind mit Freude unterwegs.
Mit dem letzten Vorteil des Fahrrads knüpfe ich am Anfang an und damit beim Beginn des Fahrrads überhaupt: Als vor gut 200 Jahren Freiherr von Drais den Vorläufer des Fahrrads erfand, gab es eine Klimakrise. Ein Vulkanausbruch hatte große Mengen an Asche in die Luft geschleudert, das Sonnenlicht wurde verdunkelt, es wurde kälter. Also das genaue Gegenteil zu heute – allerdings mit der gleichen Folge: Es kam zu Missernten und das Getreide wurde knapp. Pferde wurden geschlachtet, weil ihr Verbrauch zu hoch war. Als Reaktion darauf erfand Karl von Drais ein Verkehrsmittel, das bis heute die effizienteste und nachhaltigste Möglichkeit der Fortbewegung darstellt. Und damit ist es ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Klimakrise, auf die wir endlich Antworten finden und umsetzen müssen. Wir werfen heute und noch bis Anfang November einen Blick auf drei Jahrhunderte Fahrradgeschichte - es ist eine Erfolgsgeschichte. Und es liegt an uns, dem Fahrrad mehr Verkehrsraum zu geben, um diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben.
Ich danke Ihnen herzlich!